Bundestag beschließt Antrag zur Förderung von Sozialen Innovationen
Bundestag beschließt Antrag zur Förderung von Sozialen Innovationen
Wir sind begeistert! Nach Bündnis 90/Die Grünen und der Linken haben heute auch FDP und die beiden Regierungsfraktionen einen Antrag zu Sozialen Innovationen/Social Entrepreneurship in den Bundestag eingebracht. Vielen Dank an die Pioniere unter den Politiker*innen, die das möglich gemacht haben.
Der heute beschlossene Antrag ist ein Meilenstein für die Förderung von Sozialen Innovationen in Deutschland! Gerade im Hinblick auf unsere großen gesellschaftlichen Herausforderungen gilt es, die nun beschlossenen Punkte zügig umzusetzen und im Hinblick auf einen ganzheitlichen Ansatz verbleibende Lücken im Antrag zu schließen. Und da gibt es noch einige!
Doch werfen wir einen kritischen Blick auf die Themen des Antrags und ordnen diese ein.
Wer ist unser:e Ansprechpartner:in?
Wir freuen uns über die Absicht, eine ressortübergreifende Strategie zu entwickeln, da unser Thema bisher zwischen den Ministerien und Ressorts hin und hergeschoben wurde. Dies hat bislang zu wenig nachhaltigen Insellösungen geführt. Wir vermissen hier allerdings eine konkrete Zuständigkeit. Wer hat den Hut auf? Wer übernimmt die Verantwortung für die Umsetzung? Wer ist eine Ansprechpartner*in für Social Entrepreneurs? Diese Fragen bleiben im Antrag unbeantwortet. Im Hinblick auf die diversen Wirkungsbereiche Sozialer Innovationen wäre es in unseren Augen sinnvoll die Koordination direkt über das Kanzleramt laufen zu lassen. Auch im parlamentarischen Betrieb sollte das Thema zukünftig bei der Ausschussstruktur einbezogen werden, z.B. als ständiger Unterausschuss.
Gemeinsames Verständnis schärfen
Die Absicht eine Definition für Sozialunternehmen zu entwickeln ist ebenfalls in unserem Sinne – da hinken wir ja dem Großteil der EU-Nachbarländern hinterher. Hier haben wir im letzten Jahr gemeinsam mit Praxis und Wissenschaft vorgelegt und eine Definition erarbeitet, auf der bei dieser Arbeit aufgebaut werden kann. Dabei ist wichtig immer im Blick zu behalten, worum es Social Entrepreneurs geht: Neue Ansätze zur Überwindung gesellschaftlicher Probleme zu entwickeln und umzusetzen. Positive gesellschaftliche Wirkung ist das oberste Ziel, ihre Organisations- und Finanzierungsmodelle sind divers.
Finanzierung: Kein Erkenntnis‑, sondern ein Handlungsproblem
Da die Finanzierung für Sozialunternehmen nach wie vor zu den größten Herausforderungen des Sektors zählt, haben wir natürlich einen genaueren Blick darauf geworfen, ob der Antrag an dieser Baustelle etwas ändern wird. Hier fehlt es leider an konkreten Handlungsabsichten. Wieder einmal soll zunächst geprüft werden, wo der Bedarf liegen könnte. Zu dem Thema gibt es inzwischen eine Vielzahl von Studien u.a. auch von KfW (2013, 2019) und BMWi (2015), in denen die Lücken aufgezeigt und zielgruppenspezifische Handlungsempfehlungen erarbeitet wurden. Die aktuelle Situation während Corona wirkt wie ein Brennglas auf die bestehende Lücke: Lediglich 3,2% der Sozialunternehmen konnten die Corona-Hilfen der KfW in Anspruch nehmen. Hier gibt es kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem!
Eine große Herausforderung sehen wir bei der Aussage „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel”: Werden für die Umsetzung nicht die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt, werden wir den bisherigen Rückstand bei diesem wichtigen Zukunftsthema nicht aufholen; im schlimmsten Fall uns rückwärts bewegen. Hier hätten wir uns nach dem Vorbild Frankreich ein konkretes Budget gewünscht. Umso weniger ist es nachvollziehbar, dass unser Vorschlag zum Aufbau eines Social Impact Fonds über „nachrichtenlose Vermögenswerte“ nicht auch in dem Antrag berücksichtigt wurde, denn so hätte man auch gleich die entsprechende Querfinanzierung. Eine ähnliche Nutzung dieser Gelder wurde neben dem Impulspapier des Hightech-Forums auch in Anträgen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagen. In Großbritannien wurden über diese Gelder z.B. die digital-soziale Innovationsstiftung nesta finanziert – oder aktuell zivilgesellschaftliche Organisationen bei ihren Lösungen in der Corona-Pandemie unterstützt.
Rahmenbedingungen für sozial-innovative Gründungen
Besonders schmerzlich vermissen wir auch, dass der Antrag sich nicht mit den Rahmenbedingungen für die Gründung innovativer Sozialunternehmen auseinandersetzt – dabei können die meisten Sozialunternehmen ein Lied davon singen, dass in vielen Fällen weder die klassische Gemeinnützigkeit noch eine rein gewerbliche Rechtsform für sie passt. Bei der Vergabe der Gemeinnützigkeit stehen gerade digitale/innovative Lösungen mit neuen Wirkungsmodellen vor großen Herausforderungen, da sie im Gemeinnützigkeitsrecht so nicht vorkommen. Zudem dauert der Prozess der Erteilung der Gemeinnützigkeit durch die kommunalen Finanzämter oft mehrere Monate.
Auch der Rechtsformvorschlag der Stiftung Verantwortungseigentum, wurde zwar von den Anträgen der Grünen und der FDP befürwortet, im Antrag der Bundesregierung aber ignoriert. Dabei würde das Modell für Sozialunternehmen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft die Möglichkeit bieten, einen gesellschaftlichen Unternehmenszweck besser zu verankern. Eine solche Rechtsform bietet auch große Potenziale für den Aufbau von digitalen Plattformen nach europäischen Werten sowie für die Herausforderungen der Unternehmensnachfolge im Mittelstand.
Die richtigen Anreize setzen für Transfer und Zusammenarbeit
Damit Soziale Innovationen sich verbreiten können, müssen Anreize und Strukturen geschaffen werden – zum Beispiel über die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand. Dieser Punkt fällt im vorliegenden Antrag fast völlig unter den Tisch, obwohl dieses auch im Impulspapier des Hightech-Forums intensiv aufgegriffen wurde und aktuell mit #WirVsVirus ein solcher Prozess läuft, der gut auf die Lösung weiterer Herausforderungen übertragbar wäre. Dazu gehört eine bessere Berücksichtigung von Sozialen Innovationen im öffentlichen Beschaffungswesen, sowie in einer Schulung von Mitarbeiter*innen in Kommunen zu Sozialen Innovationen sowie dem Aufbau entsprechender Innovationsscouts. Das Potenzial für Kommunen verdeutlicht ein Beitrag von Sozialunternehmer Sascha Haselmayer, der mit CityMart weltweit den Problemlösungsprozess von Kommunen revolutioniert – mit Ausnahme seiner Heimat in Deutschland. Zu dem Thema bietet der Antrag der FDP auch noch eine Reihe wichtiger Handlungsimpulse.
Neben der öffentlichen Hand sind Träger der Wohlfahrtspflege in vielen Fällen ein guter Partner für die gemeinsame Entwicklung und Verbreitung von Sozialen Innovationen. Wie wir bereits in unserem Positionspapier4 dazu gefordert haben, sollten auch bestehende Strukturen stärker in der Innovationsförderung berücksichtigt werden. Aber auch auf diesen sehr naheliegenden Lösungsweg geht der Antrag nicht ein.
Vom Prüfen ins Machen kommen und #gemeinsamwirken
Nachdem wir den Finger noch einmal kräftig in die Wunde gelegt haben, wollen wir aber nicht vergessen, die vielen tollen Ansätze aus dem Antrag hervorzuheben. Der Aufbau Sozialer Innovationszentren schafft eine wichtige Infrastruktur, damit mehr Bürger:innen aktiv an den Lösungen unserer gesellschaftlichen Herausforderungen mitarbeiten können. Eine Stärkung der Sichtbarkeit, Anreize für gemeinwohlorientierte Finanzierungs- und Investitionsinstrumente, Innovationswettbewerbe zu ungelösten sozialen Fragestellungen, mehr Forschung zu Sozialen Innovationen … Es sind viele Punkte enthalten die einen wichtigen Beitrag für die Gestaltung einer sozial-nachhaltigen Gesellschaft mit sich bringen können. Hier ist es aber wichtig vom Prüfen ins Handeln zu kommen! Wir freuen uns auf die nächsten Schritte und das gemeinsame „auf die Straße bringen“!
Unser ausführliches Statement gibt es HIER.
Noch eine kleine Anekdote zum Schluss: Bei unserem Parlamentarischen Abend vor ziemlich genau einem Jahr hat der Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger irgendwann zu seinen Mitdiskutant*innen gemeint, dass es bei dem Thema so eine große Übereinstimmung gibt, dass man eigentlich gemeinsam einen fraktionsübergreifenden Antrag einreichen müsste. Das sehen wir genauso! Es geht bei Sozialen Innovationen und Social Entrepreneurship schließlich um Lösungen gesellschaftlicher Herausforderungen! Ein Thema an dem alle konstruktiven Parteien interessiert sein sollten. Hier schlummert viel Potenzial für ein #GemeinsamWirken ;)
Die Anträge der einzelnen Fraktionen:
CDU/CSU & SPD: „Soziale Innovationen stärker fördern und Potenziale effizienter nutzen“
Bündnis 90/Die Grünen: „Strategische Förderung und Unterstützung von Social Entrepreneurship in Deutschland“
Die Linke: „Soziale Innovationen stärken“
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