Einschätzung des Vision Paper ‘Sieben Hebel für eine innovative Wirtschaft und Gesellschaft’

12.07.2024

Einschätzung des Vision Paper: ‘Sieben Hebel für eine innovative Wirtschaft und Gesellschaft’

Der Beirat für Soziale Innovation des Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das Vision Paper ‘Sieben Hebel für eine innovative Wirtschaft und Gesellschaft’ veröffentlicht. Wir gratulieren zu den vielen wichtigen Impulsen, die hier gesetzt werden. Dieser wertvolle Diskussionsbeitrag integriert andere europäische Stimmen und Erfahrungen in die deutsche Debatte und zeichnet positive Zukunftsbilder für ein Thema, das in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist. Aus dem Papier ergeben sich Folgefragen, die wir für den weiteren Diskussionsprozess wichtig finden. 

In dem Papier gibt es viele For­de­run­gen, die wir unter­stüt­zen und freuen uns über die klare For­mu­lie­rung dieser wich­ti­gen Bausteine:

‘Impact’ Agenda & Par­ti­zi­pa­ti­on bei deren Weiterentwicklung

Eine ambi­tio­nier­te Wei­ter­ent­wick­lung der Natio­na­len Stra­te­gie für Soziale Inno­va­tio­nen und Gemein­wohl­ori­en­tier­te Unter­neh­men (SIGU-Stra­te­gie) ist sehr wichtig. Diese sollte als dau­er­haf­ter Prozess im gesam­ten Sektor ver­an­kert werden. Der neueste Deut­sche Social Entre­pre­neur­ship Monitor 2024 (DSEM) zeigt, dass wir beim Abbau von Hürden und sys­te­mi­schen Unge­rech­tig­kei­ten für den Sektor in Deutsch­land noch relativ am Anfang stehen.

Ein­heit­li­che Defi­ni­tio­nen und struk­tu­rier­te Daten

Eine bessere Daten­grund­la­ge zu Social Entre­pre­neur­ship  ist uner­läss­lich für eine wir­kungs­ori­en­tier­te Wei­ter­ent­wick­lung. Dies hat auch die EFI-Kom­mis­si­on von der Bun­des­re­gie­rung in ihrem dies­jäh­ri­gen Gut­ach­ten gefor­dert. Um Wirkung in die öffent­li­che Beschaf­fung auf­zu­neh­men, wird vor allem drin­gend eine bessere Daten­la­ge benö­tigt, um basie­rend darauf zu steuern und incen­ti­vie­ren zu können. Das ist der erste und sehr wich­ti­ge Schritt beim Wechsel von Input- zu Outcome-Steuerung.

Struk­tu­rel­le Verankerung

Soziale Inno­va­tio­nen und Social Entre­pre­neur­ship sind Quer­schnitts­the­men. Die res­sort­über­grei­fen­de Koope­ra­ti­on und Unter­stüt­zung des Themas, wie auch in anderen euro­päi­schen Ländern, ist äußerst wichtig für Deutsch­land. Social Entre­pre­neur­ship soll ein sek­toren­über­grei­fen­des Öko­sys­tem werden, das seine Kraft aus dem ver­net­zen­den, gemein­sa­men Wirken in hori­zon­ta­len Lösungs­mis­sio­nen und Wir­kungs­part­ner­schaf­ten zieht und damit einen mög­li­chen Beitrag zur Trans­for­ma­ti­on leistet, wie wir künftig große gesell­schaft­li­che Her­aus­for­de­run­gen angehen.

Plat­zie­rung Sozia­ler Inno­va­tio­nen auf der inter­na­tio­na­len Agenda

Die meisten gesell­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen enden nicht an Grenzen. Daher ist das gemein­sa­me Lernen und Ent­wi­ckeln von Lösun­gen in Form von Sozia­len Inno­va­tio­nen und einer wirk­sa­men Social Economy enorm wichtig. Geteil­te inter­na­tio­na­le bzw. trans­na­tio­na­le Stan­dards werden auch dem deut­schen Öko­sys­tem weiterhelfen.

Akti­vie­rung nach­rich­ten­lo­ser Bank­kon­ten für das Gemein­wohl in Form eines Social Impact Fonds

Gerade in Zeiten der her­aus­for­dern­den Haus­halts­la­ge stellt dies eine his­to­risch ein­ma­li­ge Chance dar. Ihre Ein­ma­lig­keit macht die wirk­sa­me gesetz­li­che Umset­zung mit klugem Aus­gleich zwi­schen allen rele­van­ten Stake­hol­dern drin­gend erfor­der­lich. Mit juris­ti­schen Expert:innen haben wir hierzu einen aus­ge­wo­ge­nen und büro­kra­tisch schlan­ken Vor­schlag ent­wi­ckelt. Die Bun­des­re­gie­rung steht in der Ver­ant­wor­tung, ihre Ankün­di­gung aus der SIGU-Stra­te­gie in den kom­men­den 12 Monaten umzu­set­zen. Es ist begrü­ßens­wert, dass sich das Vision Paper für eine ambi­tio­nier­te Umset­zung ein­setzt, die ins­be­son­de­re eine schnel­le Akti­vie­rung nach­rich­ten­lo­ser Konten nach 10 Jahren nötig macht, um zum Start hin­rei­chend Kapital zu mobilisieren.

Die Hebe­lung wei­te­rer Mittel wäre sehr zu begrü­ßen. Letzt­lich muss durch das Fonds­de­sign sicher­ge­stellt werden, dass es büro­kra­tisch maximal anschluss­fä­hig ist und eine hin­rei­chen­de Fle­xi­bi­li­tät zur Anpas­sung der Fonds­kri­te­ri­en an die jewei­li­gen zeit­ge­mä­ßen Erfor­der­nis­se behält. Das denkbar schlech­tes­te Sze­na­rio wäre ein Social Impact Fonds, der nicht attrak­tiv genug für Co-Investor:innen wäre und auf­grund stren­ger Co-Inves­ti­ti­ons-Kri­te­ri­en vom wirk­sa­men Inves­tie­ren durch einen unnö­ti­gen Mit­tel­ab­fluss­stau abhal­ten würde.

Als Anre­gun­gen für die weitere Dis­kus­si­on möchten wir gerne fol­gen­de Punkte setzen:

‘Unser Vor­schlag ist, die Wirkung in die Kate­go­rie der Währung zu über­set­zen’ (Vision Paper)

Wirkung markt­wirt­schaft­lich ein­zu­prei­sen, ist ein wich­ti­ger Bau­stein. Zum Bei­spiel können result­a­t­ori­en­tier­te Finan­zie­rungs­in­stru­men­te wie ‘Out­co­mes-based’ oder ‘Impact-linked Finance’ in bestimm­ten Wir­kungs­be­rei­chen die Erpro­bung wir­kungs­vol­ler Ansätze ermög­li­chen, oder wir­kungs­ori­en­tier­te Ansätze incen­ti­vie­ren. Hierfür sind im ersten Schritt Daten und klare Andock­stel­len zwi­schen Wirkung und SROI (Social Return on Invest­ment) erfor­der­lich. Aller­dings sollten wir nicht die Wirkung von allen Sozi­al­un­ter­neh­men in das bestehen­de mone­tä­re System über­set­zen,  da die zugrun­de­lie­gen­de Wir­kungs­mes­sung nicht in allen Berei­chen möglich und wün­schens­wert ist. Einige Soziale Inno­va­tio­nen und Sozi­al­un­ter­neh­men schlie­ßen nämlich Lücken in der öffent­li­chen Daseins­vor­sor­ge oder führen Dienst­leis­tun­gen nach den Sozi­al­ge­setz­bü­chern aus, wie im Papier unter Punkt 7.1 aner­kannt. Es bedarf einer Debatte und Fol­gen­ab­schät­zung, inwie­fern die kon­se­quen­te Mone­ta­ri­sie­rung von Wirkung lang­fris­tig eher Treiber für das Wachsen der Social Economy ist oder Bremse für die gesell­schaft­li­che Trans­for­ma­ti­on hin zu einem nach­hal­ti­gen und rege­ne­ra­ti­ven Wirtschaften.

An dieser Stelle teilen wir gerne den Beitrag zur Dis­kus­si­on von Michael Wunsch, der das Thema aus­führ­lich aufgreift.

Kom­mu­ni­ka­ti­on und Sichtbarkeit

Die For­de­rung nach mehr Kom­mu­ni­ka­ti­on zu Social Entre­pre­neur­ship und Sicht­bar­keit für den Sektor ist eine, die wir auch unter­stüt­zen. Dies ist eine SIGU-Stra­te­gie-Maß­nah­me und zudem auch ein Ergeb­nis des DSEM 2024, der ver­deut­licht, dass Sozi­al­un­ter­neh­men sich von der Politik ein bes­se­res Ver­ständ­nis ihrer Bedürf­nis­se wün­schen. Dafür braucht es Kom­mu­ni­ka­ti­on, Sicht­bar­keit und Sto­rytel­ling. Zu dem Ansatz, dies mit Impact Uni­corns zu errei­chen, wollen wir gerne auch einen Beitrag zur Dis­kus­si­on leisten. Dieses Nar­ra­tiv, das sehr durch die Startup Welt geprägt ist, könnte Akteure, die nicht am Markt agieren, aus­schlie­ßen. Als Verband stehen wir dafür, Sozi­al­un­ter­neh­men in der ganzen Breite – nicht nur in der ‘Spitze’ – zu unter­stüt­zen und zu fördern. Soziale Inno­va­tio­nen sind oft lokale Lösun­gen, die manch­mal langsam ent­ste­hen und für deren Ska­lie­rung auch länger gebraucht wird als beim Output klas­si­scher Unter­neh­men, wes­we­gen bedarfs­ge­rech­te Finan­zie­rungs­op­tio­nen für die Ska­lie­rung drin­gend benö­tigt werden. Sozi­al­un­ter­neh­men koope­rie­ren zudem auch oft mit­ein­an­der. Der Ansatz der Uni­corns lenkt viel Auf­merk­sam­keit auf Indi­vi­du­en, was zu einer Macht­kon­zen­tra­ti­on führen kann, wie wir es von den Struk­tu­ren der klas­si­schen Wirt­schaft kennen. Das möchten wir gerne im Sinne des #Gemein­sam­Wir­kens vermeiden.

Impact Start­ups

Es wäre wün­schens­wert, wenn sich die Mehr­heit der Grün­dun­gen als Impact Start­ups ver­stün­den. Es darf jedoch nicht zur Eti­ket­ten­fra­ge ver­kom­men. Denn schon jetzt sagen rund drei Viertel der deut­schen Gründer:innen, dass sie mit ihrer Grün­dung auch oder primär soziale oder öko­lo­gi­sche Her­aus­for­de­run­gen lösen wollen. Zur Selbst­be­zeich­nung Impact Startup ist es prak­tisch nicht mehr weit. Wichtig ist, dass “Impact Startup” nicht zur unde­fi­nier­ten Social Washing-Hülle wird, sondern an klar defi­nier­te Kri­te­ri­en gekop­pelt ist.

Hoch­schu­len

Es werden wich­ti­ge Aspekte in Bezug auf Hoch­schu­len ange­spro­chen, die wir aus­drück­lich begrü­ßen. Bei­spiels­wei­se die Inte­gra­ti­on Sozia­ler Inno­va­tio­nen in Lehre bzw. Aus- und Wei­ter­bil­dungs­pro­gram­me. Dies ist auch von hoher Bedeu­tung für die Ent­ste­hung Sozia­ler Inno­va­tio­nen und Social Intra­pre­neur­ship inner­halb bestehen­der Struk­tu­ren. Jedoch wollen wir anmer­ken, dass dabei nicht nur Tech­ni­sche Hoch­schu­len in den Blick genom­men werden sollten, sondern jeder Hoch­schul­typ und jede Dis­zi­plin in Frage kommt. Das Thema der Sozia­len Inno­va­tio­nen ist auch rele­vant in klas­si­schen Uni­ver­si­tä­ten, Hoch­schu­len für ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten oder bei­spiels­wei­se Kunsthochschulen.

Zudem unter­stüt­zen wir die Idee der Impact-Exzel­lenz­clus­ter und emp­feh­len hier eine Themen- und Tech­no­lo­gie­of­fen­heit. Dabei sollten auch Sen­si­bi­li­sie­rungs- und Unter­stüt­zungs­mög­lich­kei­ten für grün­dungs­fer­ne­re Berei­che z. B. in der Sozia­len Arbeit oder den Gesund­heits­wis­sen­schaf­ten geleis­tet werden. Denn diese Berei­che werden oftmals ver­nach­läs­sigt, doch eine breite inter­dis­zi­pli­nä­re und inter­sek­to­ra­le Her­an­ge­hens­wei­se für die Poly­kri­sen unserer Zeit ist unent­behr­lich. Zu berück­sich­ti­gen sollte sein, dass nicht alle Sozialinnovator:innen die Absicht haben, Impact-Uni­corns zu werden. Hoch­schu­len und Grün­dun­gen aus ihnen haben oft auch einen regio­na­len Fokus. Nicht jede Soziale Inno­va­ti­on ist über ihren regio­na­len Ent­ste­hungs­kon­text hinaus übertragbar.

Wir freuen uns sehr auf die weitere Dis­kus­si­on zu den wich­ti­gen Themen in dem Vision Paper und gra­tu­lie­ren Zarah Bruhn und allen Bei­rats­mit­glie­dern zu diesem wich­ti­gen Beitrag!

Ansprechpartnerin

Jessamine Davis
Co-Leitung Politik

Hier könnt Ihr das gesamte Paper nachlesen

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